Leben ohne Gewalt

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Fiktiver Betroffenenbericht, die Geschichte der 22-jährigen Lisa und ihrer Mutter

Fiktiver Betroffenenbericht, die Geschichte der 22-jährigen Lisa und ihrer Mutter

Für diejenigen, die am 28. November nicht an der Aktion teilnehmen können, ist im Folgenden einer der fiktiven Erfahrungsberichte, die Geschichte der 22-jährigen Lisa und ihrer Mutter, zu lesen. In dieser Erzählung wird die Perspektive eines Kindes beleuchtet, das Partnerschaftsgewalt miterleben musste. „Da statistisch jede dritte Frau von Partnerschaftsgewalt betroffen ist, ist es sehr wahrscheinlich, dass jede lesende Person ein Mädchen wie Lisa kennt. Es ist uns wichtig, mit den fiktiven Erfahrungsberichten auf die Situation von betroffenen Personen aufmerksam zu machen und im Rahmen der Aktion mit den Passantinnen und Passanten darüber ins Gespräch zu kommen, was in solchen Situationen unterstützend sein kann.“, so eine Mitarbeitende der IKS.

Guten Tag, ich bin Lisa, ich möchte gern die Geschichte von mir und meiner Mutter erzählen. Ich bin 22 Jahre alt und hole gerade mein Abitur nach. Was danach kommt, werden wir sehen. Durch die Medien wurde ich auf den Tag gegen Gewalt an Frauen aufmerksam und nach einigen Gesprächen mit meiner Mutter möchte ich gern unsere Geschichte teilen. Es ist nur eine von vielen Geschichten, aber vielleicht kann es dazu beitragen, dass auch nur eine Frau aufhorcht und sich Hilfe sucht. Ich bin in Chemnitz aufgewachsen, auf den ersten Blick war alles ziemlich gut. Meine Eltern waren gute Eltern und bis ich ca. 7 Jahre alt war, änderte sich daran auch nichts. Mein Vater war Maler und Lackierer, er war schon seit 15 Jahren in seinem Unternehmen und sehr stolz darauf. Meine Mutter arbeitete im Einzelhandel. Beide waren immer fleißig und Arbeit war für sie ein hohes Gut. Wir hatten ein Auto, mein Vater noch ein altes Moped, was er sehr pflegte, und wir konnten jedes Jahr Urlaub machen. Es war eine schöne Zeit. Etwas später verlor mein Vater seinen Job, die Firma konnte ihn nicht länger bezahlen. So sei das eben, sagten sie ihm. Ich weiß noch wie traurig er war, wir rückten alle näher zusammen, trösteten uns und schöpften Mut. Er wird sicher bald was Neues finden, da waren wir ganz sicher. Viele Bewerbungen wurden geschrieben, eine Absage folgte der anderen, mein Vater wurde immer grauer. Die Sommerferien standen an, wir konnten das erste Mal nicht in den Urlaub fahren. Ich

merkte, wie sehr es meine Eltern belastete. Die Monate vergingen und es veränderte sich nichts an der Situation. Ich sah meinen Vater kaum noch lachen, immer öfter gab es Streit zwischen meinen Eltern. Dann ging ich in mein Zimmer, setzte die Kopfhörer auf und legte mich ins Bett. Es tat mir weh, wenn sie stritten. Manchmal, wenn es dann wieder leise wurde, hörte ich meine Mutter weinen. Ich ging zu ihr und wollte sie trösten. Oft zog sie sich plötzlich eine Jacke an, obwohl es sehr warm war. Meine Mutter erhöhte ihre Stunden bei der Arbeit, damit wir mehr Geld hatten und mein Vater roch manchmal komisch, so wie zu Silvester oder an Geburtstagen. Dabei gab es gar nichts zu feiern und es war auch mitten am Tag. Ich konnte das nicht zuordnen. Es wurde immer lauter zu Hause, meine Musik auch. Am Wochenende war ich mit meiner Mutter auf dem Spielplatz zusammen mit ihrer Freundin und deren Tochter. Als wir eine Pause vom Fußball brauchten und was trinken wollten, sahen beide Mütter sich ernst an. Meine Mutter wurde gefragt, wo denn schon wieder die blauen Flecken herkämen. Stimmt, die waren sehr oft da. Meine Mutter sagte, das komme aus dem Laden, Kisten stapeln, umräumen und einräumen, das passiert eben. Das passiert eben.

Ich war nun mittlerweile 12 Jahre alt. Mein Vater wurde immer frustrierter und lauter, er hatte immer noch keine neue Arbeit gefunden und ich begriff nun auch, dass er nach Geburtstag roch, weil er Alkohol trank. Mittlerweile auch nicht mehr heimlich. Morgens ging es los, dann war er mal kurz unterwegs, bastelte an seinem Moped und kam oft sehr angetrunken nach Hause. Dann wurde es laut, er griff meiner Mutter an den Po, das wollte sie nicht. Manchmal ließ sie ihn machen, sie war zu müde von der Arbeit. An anderen Tagen schubste sie ihn weg, dann wurde es wieder laut. Ich stand dann im Wohnzimmer und wusste nun auch wo die blauen Flecken herkamen. Die Sommerferien waren das Schlimmste, dann konnte ich nicht in die Schule, zu Hause war es so anstrengend. Als die Schule wieder begann war ich froh und erschöpft. Erschöpft von zu Hause, von der Lautstärke und der Angst, die uns in jedes Zimmer folgte. Eine Lehrerin sprach mich an, fragte mich, ob ich nach der Stunde mal kurz bleiben könnte. Ich dachte, jetzt bekomme ich Ärger, zu Hause darf das niemand erfahren.

Als wir zusammen saßen fragte sie mich, wie es mir denn zu Hause gehe, ob ich gut schlafe, wie meine Ferien waren. Ich zögerte lange, dann weinte ich. Ich erzählte ihr ganz ehrlich wie es mir zu Hause ging. Sie legte dem Arm um mich, hielt mich fest und sagte, dass alles wieder gut werde. Sie wolle mir und meiner Mutter helfen. Sie lud uns beide zum Elternsprechtag ein und erzählte von unserem Gespräch. Meine Mutter war starr wie Stein, sie sagte nichts. Kein Wort. Sie stand auf und ging. Zu Hause sprach sie nicht mit mir, sie schaute nur aus dem Fenster. So ging das eine Woche. Nach einer Woche kam sie auf mich zu, sagte ich soll meine Sporttasche packen, mit allem was mir wichtig sei. Ich packte meine zwei Lieblingskuscheltiere, ein Buch und meinen besten Pullover ein. Meine Mutter sagte mir, dass, wenn Papa morgen in der Garage ist, wir mit dem großen Koffer und meiner kleinen Sporttasche in ein anderes Haus gehen würden. Wir würden abgeholt von einer Frau, die uns dort hinbringen würde. Sie sagte, dort würde es uns erst mal bessergehen. Einige Jahre später erfuhr ich, meine Mutter hatte noch öfter mit meiner Lehrerin gesprochen und eine Telefonnummer erhalten. Dort rief sie an, das war ein Frauenschutzhaus. Dort können Frauen und ihre Kinder wohnen, wenn sie zu Hause Gewalt erleben. Dort können sie zur Ruhe kommen und werden dabei unterstützt, wenn sie woanders wohnen wollen oder Schutz brauchen. Es war gut dort zu sein. Eine seltsame Stimmung im Haus, etwas Warmes, aber auch alles sehr vorsichtig. Wir konnten dort sechs Wochen leben. Dann hatten wir eine eigene Wohnung gefunden. Meine Mutter konnte dort auch mit der Polizei sprechen und erhielt Unterstützung bei allen Anträgen. Die Frauen, die dort arbeiteten, wussten sehr gut, was wir brauchten - Sicherheit, Verständnis und ein klein wenig Normalität.

 

Plakat "Leben ohne Gewalt"

Ausschnitt Plakat

Flyer "Ohne Verschlusssache - Leben ohne Gewalt"

Informationsflyer

Kinder- und Jugend-Notfallkarte

Jugendnotfallkarte

Gewalt in Paarbeziehungen

Zu jeder Zeit und in jeder Form gab und gibt es Gewalt gegen Frauen, Männer und Kinder durch Bezugspersonen. Der häufigste Schauplatz dieser Gewalt sind die eigenen vier Wände. Gerade an dem Ort, an welchem Menschen Schutz, Geborgenheit und Vertrautheit suchen, werden sie nicht selten geschlagen, bedroht, beschimpft und gedemütigt. Ihnen werden Kontakte zu Freundinnen und Freunden, Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen und Familienangehörigen verwehrt. Sie werden kontrolliert und finanziell bevormundet. Häufig sind die Täter:innen ehemalige oder aktuelle Partner:innen, die im Falle eines Trennungsversuches mit der Wegnahme der Kinder oder massiver Gewalt drohen.

Der gewaltausübende Partner/Die gewaltausübende Partnerin untergräbt zunehmend das Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl. Eine derart eingeschüchterte und häufig auch sozial isolierte Person schafft es kaum ohne Hilfe von außen, sich aus dieser Gewaltbeziehung zu lösen.

Auch heute noch wird häusliche Gewalt und Gewalt in der Partnerschaft gern verharmlost und schnell entschuldigt. So waren der Alkohol, Eifersucht, ein schlechter Tag, eine schwere Vergangenheit oder der Ärger mit wer weiß wem Schuld. Vielleicht waren die Kinder zu laut oder der Partner, die Partnerin wurde "provoziert".

Sicher kennen viele von Ihnen solche oder ähnliche Erklärungsmuster. Nicht selten übernehmen die gewalterfahrenden Personen die Verantwortung für solche Gewalttätigkeit. Sie schämen sich, persönlich versagt zu haben. Glauben, dass nur ihnen so etwas passiert. Kein Wunder also, dass die, die Gewalt erfahren, schweigen.

Aus den Verstrickungen von Angst und Abhängigkeit einen Weg zu finden ist nicht leicht. ABER es ist möglich!

 

Wo finde ich Hilfe?

Akuter Notfall:  
Polizei     110
Notruf

112

 

Beratungsangebote (auf Wunsch anonym):    

I

Fachberatungsstelle gegen sexualisierte Gewalt

03529-5740317

015153330236

 bsg@drkpirna.de

Von-Stephan-Straße 1

01809 Heidenau

Interventions- und Koordinierungsstelle zur Beratung und Hilfe bei häuslicher Gewalt

03501-5764998

03501-5764909

iks@drkpirna.de

Krietzschwitzer Straße 3

01796 Pirna

und

Dresdner Straße 207

01705 Freital

Frauen- und Kinderschutzhaus Pirna    

03501-547160

frauenhaus@asb-koenigstein-pirna.de 

 

Männerschutzwohnung

0351-32345422

msw@mnw-dd.de

 

ESCAPE Dresden Täter- und Täterinnenberatung

0351-8104343 

kontakt@escape-dresden.de

Königsbrücker Str. 37
01099 Dresden


Was sind meine Rechte?

Jeder Mensch besitzt das Recht auf Schutz vor jeglicher Gewalt. Häusliche Gewalt ist strafbar!
Grundsätzlich gilt dabei das Gewaltschutzgesetz (GewSchG).

Sie haben immer das Recht sich mit Ihren Problemen an die Beratungs-, Interventionsstellen und an die Polizei (Kontaktdaten siehe oben) zu wenden. Suchen Sie sich Hilfe!

Das Netzwerk gegen häusliche Gewalt des Landkreises Sächsische Schweiz-Osterzgebirge (mehr Informationen zu dem Netzwerk finden Sie unten) hat die Handlungsempfehlungen für das Jugendamt, andere Behörden und Beratungsstellen in Fällen der Kindeswohlgefährdung bei häuslicher Gewalt als gemeinsame Arbeitsgrundlage erstellt.

Netzwerk gegen häusliche Gewalt

Um Aufklärung zum Thema häusliche Gewalt und um einen Informationsaustausch zu erreichen, hat sich in unserem Landkreis ein Netzwerk gebildet. Mitglieder sind unter anderem die Gleichstellungsbeauftragten der Kommunen und Polizei, darüber hinaus Beratungsstellen der freien Träger, Rechtsanwälte und Psychotherapeuten. Das Netzwerk arbeitet unter Leitung der Gleichstellungsbeauftragten des Landkreises Teresa Schubert.

Entsprechend der Satzung ist das oberste Ziel des Netzwerkes der Schutz und die Sicherheit für von häuslicher Gewalt Betroffener – unabhängig von Alter und Geschlecht. Wichtig ist dabei, dass Hemmschwellen der Hilfesuchenden immer weiter abgebaut werden.

Im Landkreis existieren zahlreiche Hilfs- und Beratungsangebote, die jetzt durch die Netzwerkarbeit noch besser miteinander verknüpft werden können. Auf diese Weise werden Betroffene zielgerichteter informiert und erhalten bei verschiedenen Beratungsstellen unkompliziert alle wichtigen Auskünfte.

Das Netzwerk trifft sich in regelmäßigen Abständen um über aktuelle Themen, rechtliche Entwicklungen oder Fachtagungen zu berichten und sich auszutauschen. 

Was Mitarbeiter:innen der Beratungsstellen über häusliche Gewalt berichten, lesen Sie in den folgenden Interviews des Frauen- und Kinderschutzhauses Pirna des ASB OV Königstein/Pirna e.V. sowie ESCAPE Dresden - Täterorientierte  Antigewaltarbeit in Fällen Häuslicher Gewalt.

Gleichstellungsbeauftragte

01796 Pirna, Schloßhof 2/4 (Haus EF, Zi. 3.24)

01782 Pirna, Postfach 10 02 53/54

Telefon
E-Mail